2006-Mord an Karen Gaucke und ihrer Tochter Clara
Verfasst: Sa 6. Dez 2014, 19:30
Karen und Clara Gaucke sind bis heute vermisst!
Mord ohne Leichen
25. März 2007, 12:15 Uhr
Ein Mann steht im Verdacht, seine Ex-Freundin und die gemeinsame Tochter umgebracht zu haben. Alle Indizien sprechen gegen ihn. Aber der Mann, Abteilungsleiter Michael P., 38, schweigt. Und - es gibt keine Spur der Toten. Jetzt soll das Landgericht Hannover Recht sprechen. Von Peter Sandmeyer
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Beamte der Bundespolizei durchkämmen ein Waldgebiet bei Burgdorf - sie sind zwei Monate nach dem Verschwinden von Karen Gaucke und ihrer kleinen Tochter Clara am 15. Juni 2006 auf der Suche nach Hinweisen. Zeugen hatten Michael P., den früheren Leben© Rainer Jensen/dpa; ddp; michael thomas
Menschen, die ihr Leben in Gerichtsgebäuden zubringen, scheinen im Lauf der Zeit deren Farbe anzunehmen. Sie werden grau. Diese Beobachtung gilt unabhängig davon, welche Rolle die Menschen im Gericht spielen, sie trifft für Richter ebenso zu wie für Staatsanwälte oder Verteidiger, sogar regelmäßige Zuschauer werden grau.
Mit der ruinösen Wirkung langjähriger Nahrungsaufnahme in Gerichtskantinen lässt sich das Phänomen nicht erklären. Es muss etwas damit zu tun haben, dass bei Prozessbeteiligten ursprünglich die Vorstellung existierte, mit ihrer Tätigkeit etwas zur Herstellung von Gerechtigkeit beizutragen; dass diese Vorstellung aber in der Realität des Gerichtsalltags immer mehr versprödet, verblasst und ergraut. Die Verfahrensbeteiligten im Saal 127 des Landgerichts Hannover haben diese Entwicklung hinter sich. Richter, Schöffen, Staatsanwälte, die Verteidigerin, der Anwalt der Nebenkläger: grau.
Grabsteine für ein Grab ohne Leichen
Das Gericht betritt den Saal, das Publikum erhebt und setzt sich wieder, Zeugen werden vernommen, Sachverständige gehört, Tatortfotos besichtigt, Spurenbilder begutachtet. Bisher an 14 Verhandlungstagen. Ist etwas in Augenschein zu nehmen und alle Verfahrensbeteiligten schreiten zum Richtertisch, sieht man, wie klein die Verteidigerin ist und dass der füllige Staatsanwalt unter der Robe Jeans trägt. Ein Verbrechen wird eingekreist. Nachmittags scheint manchmal die Wintersonne in den Saal. Dann eilt ein Justizbeamter zu den hohen Fenstern, lässt Jalousien herab, und das Licht ist wieder grau. An den meisten Tagen ist ein Ehepaar aus Freiburg anwesend, Hans und Gabriele Gaucke, ehemalige Gymnasiallehrer, beide über 70. Die Nebenkläger. Bei einem Steinmetz haben sie einen Grabstein in Auftrag gegeben, der zwei Namen tragen soll: Karen Gaucke, geboren 1968, und Clara Gaucke, geboren 2005. Nach Lage der Dinge wird dieser Grabstein nie über den beiden Toten stehen, für die er bestimmt ist. Deren Körper liegen irgendwo, versenkt in einem Teich, vergraben in einem Moor, einem feuchten Waldstück. Trotz der größten Suchaktion in der Geschichte Niedersachsens wurden sie nicht gefunden. Der Mann, der nach Überzeugung der Staatsanwälte und Nebenkläger den Ort kennt, sitzt auf der Anklagebank. Und schweigt. Ihm gegenüber die Nebenkläger - Eltern und Großeltern der Toten. Und schauen ihn an. Zwischen ihnen 20 Schritte und ein Doppelmord. Aber für den existiert kein Zeuge, kein direkter Beweis - nicht einmal die Leichen.
In einem Strafverfahren soll begangenes Unrecht gesühnt und dadurch die ins Ungleichgewicht geratene Welt wieder in Balance gebracht werden. Dazu bedarf es zuallererst des Verstehens einer Tat - nicht des Verständnisses für sie, aber des Begreifens, was den Täter bewegt und getrieben hat; Habgier, Eifersucht, Wut, deformierter Sexualtrieb, das Feld ist weit. Ohne Begreifen keine angemessene Strafe, keine Gerechtigkeit. Wahrscheinlich ist das, was Zuschauer schon um sieben Uhr morgens vor dem Gerichtsgebäude in Hannover anstehen lässt, der Wunsch zu verstehen. Dieser Angeklagte im Saal 127 kommt nicht vom Rand der Gesellschaft. Michael P. ist Anzugträger. Ein Abteilungsleiter. Einer, dem man bedenkenlos einen Gebrauchtwagen abkaufen und seine Tochter anvertrauen würde. Wer ist dieser Mann?, wollen die Anwesenden im Saal 127 wissen.
Der Angeklagte schweigt
Die einzigen Aussagen, die er zu Beginn des Prozesses macht - machen muss, sind die zur Person. Seinen Namen nennt er, "geboren am 23. November 1968 in Göttingen; erlernter Beruf: Diplomkaufmann; letzter Beschäftigungsort: Tui". Zum Familienstand sagt Michael P.: "Ledig." Und: "Zwei Kinder, ca. ein Jahr alt." Bei seiner Einlieferung in die Untersuchungshaft hatte er noch angegeben, "ein Kind". Das andere, glauben die Ermittler, hat er getötet und beseitigt. Die Vorgeschichte beginnt 2004. Michael P. führt ein angenehmes Leben. Der schlanke sportliche Mann mit den straff zurückgekämmten mittelblonden Haaren ist in der Tui-Zentrale Abteilungsleiter im Controlling, rund 3000 Euro netto im Monat. Er hat einen Audi Kombi als Dienstwagen, unbegrenzte Kilometer und Sprit umsonst. Auch dass der Reisekonzern unter seinen Mitarbeitern einen Frauenanteil von 80 Prozent hat, weiß der Single zu schätzen. Seine Feierabende verlebt er in wechselnder Gesellschaft, seine Urlaube in der Karibik oder in Mexiko, am Wochenende Motorradausflüge in den Harz, er läuft Ski, spielt Basketball und Golf. Er ist fleißig, kompetent, kontaktfreudig, beliebt, aufstiegsorientiert. Er hat Aussicht auf anhaltende Karriere und glasklare Vorstellungen von seiner Zukunft: Reihenhaus mit Garten, gutes Auto, passende Frau, Kind, Hund. Das Auto soll ein großer Audi, der Hund ein Golden Retriever sein.
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http://www.stern.de/panorama/gaucke-mor ... 85423.html
Bitte ruft den Link auf und lest die Folgeseiten.
Mord ohne Leichen
25. März 2007, 12:15 Uhr
Ein Mann steht im Verdacht, seine Ex-Freundin und die gemeinsame Tochter umgebracht zu haben. Alle Indizien sprechen gegen ihn. Aber der Mann, Abteilungsleiter Michael P., 38, schweigt. Und - es gibt keine Spur der Toten. Jetzt soll das Landgericht Hannover Recht sprechen. Von Peter Sandmeyer
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Beamte der Bundespolizei durchkämmen ein Waldgebiet bei Burgdorf - sie sind zwei Monate nach dem Verschwinden von Karen Gaucke und ihrer kleinen Tochter Clara am 15. Juni 2006 auf der Suche nach Hinweisen. Zeugen hatten Michael P., den früheren Leben© Rainer Jensen/dpa; ddp; michael thomas
Menschen, die ihr Leben in Gerichtsgebäuden zubringen, scheinen im Lauf der Zeit deren Farbe anzunehmen. Sie werden grau. Diese Beobachtung gilt unabhängig davon, welche Rolle die Menschen im Gericht spielen, sie trifft für Richter ebenso zu wie für Staatsanwälte oder Verteidiger, sogar regelmäßige Zuschauer werden grau.
Mit der ruinösen Wirkung langjähriger Nahrungsaufnahme in Gerichtskantinen lässt sich das Phänomen nicht erklären. Es muss etwas damit zu tun haben, dass bei Prozessbeteiligten ursprünglich die Vorstellung existierte, mit ihrer Tätigkeit etwas zur Herstellung von Gerechtigkeit beizutragen; dass diese Vorstellung aber in der Realität des Gerichtsalltags immer mehr versprödet, verblasst und ergraut. Die Verfahrensbeteiligten im Saal 127 des Landgerichts Hannover haben diese Entwicklung hinter sich. Richter, Schöffen, Staatsanwälte, die Verteidigerin, der Anwalt der Nebenkläger: grau.
Grabsteine für ein Grab ohne Leichen
Das Gericht betritt den Saal, das Publikum erhebt und setzt sich wieder, Zeugen werden vernommen, Sachverständige gehört, Tatortfotos besichtigt, Spurenbilder begutachtet. Bisher an 14 Verhandlungstagen. Ist etwas in Augenschein zu nehmen und alle Verfahrensbeteiligten schreiten zum Richtertisch, sieht man, wie klein die Verteidigerin ist und dass der füllige Staatsanwalt unter der Robe Jeans trägt. Ein Verbrechen wird eingekreist. Nachmittags scheint manchmal die Wintersonne in den Saal. Dann eilt ein Justizbeamter zu den hohen Fenstern, lässt Jalousien herab, und das Licht ist wieder grau. An den meisten Tagen ist ein Ehepaar aus Freiburg anwesend, Hans und Gabriele Gaucke, ehemalige Gymnasiallehrer, beide über 70. Die Nebenkläger. Bei einem Steinmetz haben sie einen Grabstein in Auftrag gegeben, der zwei Namen tragen soll: Karen Gaucke, geboren 1968, und Clara Gaucke, geboren 2005. Nach Lage der Dinge wird dieser Grabstein nie über den beiden Toten stehen, für die er bestimmt ist. Deren Körper liegen irgendwo, versenkt in einem Teich, vergraben in einem Moor, einem feuchten Waldstück. Trotz der größten Suchaktion in der Geschichte Niedersachsens wurden sie nicht gefunden. Der Mann, der nach Überzeugung der Staatsanwälte und Nebenkläger den Ort kennt, sitzt auf der Anklagebank. Und schweigt. Ihm gegenüber die Nebenkläger - Eltern und Großeltern der Toten. Und schauen ihn an. Zwischen ihnen 20 Schritte und ein Doppelmord. Aber für den existiert kein Zeuge, kein direkter Beweis - nicht einmal die Leichen.
In einem Strafverfahren soll begangenes Unrecht gesühnt und dadurch die ins Ungleichgewicht geratene Welt wieder in Balance gebracht werden. Dazu bedarf es zuallererst des Verstehens einer Tat - nicht des Verständnisses für sie, aber des Begreifens, was den Täter bewegt und getrieben hat; Habgier, Eifersucht, Wut, deformierter Sexualtrieb, das Feld ist weit. Ohne Begreifen keine angemessene Strafe, keine Gerechtigkeit. Wahrscheinlich ist das, was Zuschauer schon um sieben Uhr morgens vor dem Gerichtsgebäude in Hannover anstehen lässt, der Wunsch zu verstehen. Dieser Angeklagte im Saal 127 kommt nicht vom Rand der Gesellschaft. Michael P. ist Anzugträger. Ein Abteilungsleiter. Einer, dem man bedenkenlos einen Gebrauchtwagen abkaufen und seine Tochter anvertrauen würde. Wer ist dieser Mann?, wollen die Anwesenden im Saal 127 wissen.
Der Angeklagte schweigt
Die einzigen Aussagen, die er zu Beginn des Prozesses macht - machen muss, sind die zur Person. Seinen Namen nennt er, "geboren am 23. November 1968 in Göttingen; erlernter Beruf: Diplomkaufmann; letzter Beschäftigungsort: Tui". Zum Familienstand sagt Michael P.: "Ledig." Und: "Zwei Kinder, ca. ein Jahr alt." Bei seiner Einlieferung in die Untersuchungshaft hatte er noch angegeben, "ein Kind". Das andere, glauben die Ermittler, hat er getötet und beseitigt. Die Vorgeschichte beginnt 2004. Michael P. führt ein angenehmes Leben. Der schlanke sportliche Mann mit den straff zurückgekämmten mittelblonden Haaren ist in der Tui-Zentrale Abteilungsleiter im Controlling, rund 3000 Euro netto im Monat. Er hat einen Audi Kombi als Dienstwagen, unbegrenzte Kilometer und Sprit umsonst. Auch dass der Reisekonzern unter seinen Mitarbeitern einen Frauenanteil von 80 Prozent hat, weiß der Single zu schätzen. Seine Feierabende verlebt er in wechselnder Gesellschaft, seine Urlaube in der Karibik oder in Mexiko, am Wochenende Motorradausflüge in den Harz, er läuft Ski, spielt Basketball und Golf. Er ist fleißig, kompetent, kontaktfreudig, beliebt, aufstiegsorientiert. Er hat Aussicht auf anhaltende Karriere und glasklare Vorstellungen von seiner Zukunft: Reihenhaus mit Garten, gutes Auto, passende Frau, Kind, Hund. Das Auto soll ein großer Audi, der Hund ein Golden Retriever sein.
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